Michael Tippett

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*  2. Januar 1905

†  8. Januar 1998

von Rainer Fanselau

Essay

Tippett, der sich früh darüber im klaren war, daß das Komponieren eine weitgehende Absonderung von seiner Umwelt bedeuten würde, vollzog die Ausbildung des eigenen Talents in intensiver Auseinandersetzung mit der Tradition. Das erste Werk, das von Tippett im Druck erschien, war sein 1.Streichquartett (1934/35). Später, 1943, ersetzte er die ersten beiden Sätze (Adagio – Allegro molto) durch einen Sonatensatz (Allegro appassionato); das Quartett erhielt so anstelle zweier langsamer Sätze einen einzigen in zentraler Stellung: Lento cantabile. In diesem fällt Tippetts Fähigkeit zur Erfindung langgespannter Melodien auf. Aber erst im Finale (Allegro assai) zeigt der Komponist eine für ihn besonders typische Schreibweise: die additive Rhythmik.

Sie entspricht nicht Stravinskijs ausschließlich rhythmischer Konzeption, eher der von unregelmäßigen Konturen der Melodie geprägten Rhythmik, wie sie im englischen Madrigal vorliegt, vor allem aber der des englischen Volkslieds (Matthews 1980, 16–28). Englische Volksliedmelodien gehen häufig dem natürlichen Wortrhythmus nach, wie das walisische „Lisa Lan“ mit seinen Wechseln von 2/4- und 3/4-Takt. Das Finale des 1.Streichquartetts beginnt mit der Taktfolge 2/4, 5/8, 3/4, ...